Miséricorde
Alain Guiraudie, Frankreich, 2024o
Nach zehn Jahren kehrt Jérémie zur Beerdigung des Dorfbäckers in seinen Heimatort im Südosten Frankreichs zurück. Als Teenager war Jérémie dessen Lehrling – und vielleicht noch mehr. Als er bei der Bäckerswitwe unterkommt, werden diese, doch auch ihr latent gewalttätiger Sohn Vincent zudringlich. Zudem haben der Pfarrer und ein Bauer ein Auge auf ihn geworfen. Als Vincent spurlos verschwindet, fällt der Verdacht auf Jérémie.
Zu den grossen kleinen Genüssen des Kinos zählen Filme, die nur mit einer Handvoll Figuren und Schauplätze jonglieren, dies jedoch so einfallsreich tun, dass das Wiederkehrende in immer neuem Licht erscheint. Miséricorde ist eine dieser Trouvaillen. Der Film erzählt von einem Bäcker um die Vierzig, der zur Beerdigung seines einstigen Lehrmeisters in einem herbstlichen französischen Provinznest anreist. Er trifft auf den Dorfpfarrer, einen alten Freund, die Witwe und den Sohn des Verstorbenen, doch während ihn die Witwe mit offenen Armen empfängt, zum Übernachten, ja zur Übernahme der Bäckerei einlädt, ist der Sohn ein mürrischer Sonderling, der argwöhnt, dass der Auswärtige der Mutter bloss ans Portemonnaie und an die Wäsche wolle. Es kommt zu Raufereien, die sich zuspitzen, schliesslich zu einem Kampf, an dessen Ende der eine den andern im Wald verscharrt. Mehr sei hier nicht verraten von diesem ländlichen Krimi, in dem die Mutter, der Pfarrer und die Gelüste aller Figuren die heimlichen Strippenzieher sind. Sein Humor ist rabenschwarz, sein Tonfall staubtrocken, seine Pointe verteufelt einleuchtend.
Kerstin Blank