Good Time
Ben Safdie, Joshua Safdie, USA, 2017o
Der New Yorker Kleinkriminelle Connie raubt gemeinsam mit seinem geistig zurückgebliebenen Bruder Nick eine Bank aus. Der Überfall geht schief, Connie entkommt, doch Nick wird verhaftet. Eine hektische Nacht lang versucht Connie, seinen Bruder freizubekommen und gerät dabei immer tiefer in die Bredouille.
Eine Nacht und ein Film wie ein Fiebertraum: pulsierend, nervös, dreckig, bisweilen blutig, doch von einem Sog, einer unerbittlichen Logik und Wahrhaftigkeit, der man sich nicht entziehen kann. Die New Yorker Indie-Wonder-Boys Ben & Josh Safdie wissen genau, wovon sie erzählen, wenn sie einen Kleinganoven eine Nacht lang mit der Polizei auf den Fersen durch Queens hetzen und ihm dabei mit der Kamera buchstäblich im Nacken sitzen. Jede Figur und jede noch so irrwitzige Wendung hat ihre Richtigkeit. Der Antiheld der Geschichte, vom einstigen Twilight-Star Robert Pattinson mit Intelligenz und Verve verkörpert, manövriert sich mit seinen halbgaren guten Vorsätzen immer tiefer ins Schlamassel und erinnert dabei an die Spiessrutenläufe von New-Hollywood-Grössen wie Al Pacino in Dog Day Afternoon oder Dustin Hoffman in Midnight Cowboy: unheroisch bis an die Grenzen der Idiotie und gerade deshalb so anrührend, nicht immer angenehm anzusehen, gerade deshalb so fesselnd.
Andreas FurlerC'est rare, les films qui vous scotchent à votre fauteuil et aimantent chaque parcelle de votre cerveau jusqu'à vous donner l'impression d'être en apnée. Good Time est de ceux-là.
Catherine BalleCe voyage au bout de la nuit, tout en s’en tenant à un habile mélange d’influences entre mélodrame d’auteur et réalisations plus mainstream, s’avère l’un des meilleurs films du duo du Queens. Expérience fougueuse autant que poignante, de la fraternité, de l’intime et de l’impassibilité ordinaire.
Alexandre JourdainGalerieo
Die Brüder Safdie aus New York machen halsbrecherisches Gossenkino. Im Thriller «Good Time» spielt jetzt sogar Superstar Robert Pattinson mit.
Es ist ja nicht so, dass man sich noch heute auf die Suche nach einer Nachfolge für Joel und Ethan Coen machen müsste. Die Brüder haben noch immer Drehbücher in der Schublade, die sie nicht verfilmt haben. Aber angenommen, irgendwann würde doch jemand die Frage aufwerfen, ob sich ein anderes Brüderpaar parat machen könnte, dann hätten wir einen Vorschlag.
Josh und Ben Safdie aus New York machen ebenfalls ein Kino der farbigen Figuren, aber eher als «No Country for Old Men» ist es bei ihnen wie in «A Woman Under the Influence»: Statt lakonischer Eleganz gibts Geschichten aus dem städtischen Drecksleben. Die Safdie Brothers drehen auch nicht mit George Clooney, aber das wird vielleicht noch. «Twilight»-Vampir Robert Pattinson hat sich nämlich schon darum gerissen, bei ihnen mitzuspielen, und der hat einen ausgesprochen guten Geschmack, wenn es um Regisseure geht, siehe David Cronenberg oder Claire Denis.
Jetzt ist er Connie Nikas in «Good Time», ein New Yorker Verbrecher griechischer Abstammung, der seine minimalen kriminellen Fähigkeiten kompensiert mit einem Talent zur Manipulation all jener, die das Pech haben, seinen Weg zu kreuzen. Der Banküberfall mit dunkelhäutigen Gummimasken läuft einigermassen nach Plan ab; Connie hat dafür seinen geistig behinderten Bruder Nick aus einer Therapiesitzung rausgerissen. Ben Safdie spielt ihn selber, und zwar ausgesprochen überzeugend. Blöd nur, dass im Fluchtauto die Farbbombe hochgeht und sich Nick und Connie in der Toilette von Domino’s Pizza erst mal waschen müssen. Die Polizei holt sie dann eine Ecke weiter ein. Connie flüchtet, Nick kracht durch eine Glastür, und wenig später wird er übel zusammengeschlagen im Fernsehraum des Knasts auf Rikers Island. Und weil es sich hier um einen Safdie-Film handelt, ist das alles vorüber, noch bevor der Vorspann durchgelaufen ist.
Hibbelig und energiegeladen
Josh, geboren 1984, und Ben, zwei Jahre jünger, haben mit Kurzfilmen angefangen. In einem ruft ein Geschäftsmann im Bus derart über ein schreiendes Baby aus, dass die Situation eskaliert. Die Eskalation ist ihr Grundrezept geblieben, genauso wie die hibbelige quasidokumentarische Handkamera und ein sehr hoher Energiepegel. Die Kritik wurde dank «Daddy Longlegs» (2009) auf die Brüder aufmerksam, dem grossartigen, stark autobiografischen Porträt eines alleinerziehenden und sehr unzuverlässigen Vaters von zwei Buben. Einmal gibt dieser Exzentriker und Teilzeit-Filmvorführer seinen Söhnen Tabletten, damit er mehr Zeit für seine Freuden hat. Nur wachen die Buben dann recht lange nicht mehr auf. Wie Connie in «Good Time» ist der Vater eine ambivalente Figur, die man aber nicht zuletzt deshalb lieb gewinnt, weil man über die Dauer des Films nicht von ihr wegkommt.
Mit «Heaven Knows What» (2014) folgte dann die Einladung ans Festival nach Venedig, dieser Film war eine mit dem Score von Ariel Pink aufgeputschte Gossenoper über verirrte Junkie-Seelen ohne Glück oder Zuhause.
Mit «Good Time» waren die Brüder dieses Jahr im Cannes-Wettbewerb angekommen. Dort sassen sie dann auf irgendeiner Terrasse, gaben Interviews, redeten durcheinander, keiften, witzelten, erzählten von ihrer «traumatischen Kindheit», von «Scheidung, Suizid, Sorgerechtsstreit»; von Robert Pattinson in White-Trash-Montur, mit dem sie Probeaufnahmen gemacht hätten, einmal in einem Gefängnis, wo er erst erkannt worden sei, als sie vor den weiblichen Häftlingen vorbeigelaufen seien. Von seiner «irren Energie», seiner «Neugier», die er im Gespräch mit ihnen demonstriert habe.
Sie findet sich auch im Film wieder, wo man Pattinson den mit allen Wassern gewaschenen Vollidioten sofort abnimmt. Und wo er natürlich nicht einfach ein Idiot ist, sondern ein Hitzkopf, der für seinen Bruder brennt. Connie will Nick herauskicken aus seiner pathologisierten Existenz. Er will, dass sein Bruder das Leben der Strasse zu riechen beginnt, und was gibt es dafür Besseres als ein Verbrechen? Da beginnt man sich ja wieder zu spüren. Es ist ein unfassbarer Trip, eine Art Fiebertraum, so wie die Safdies diese Nacht in New York darstellen, die auf den Banküberfall folgt: mit hochgepeitschten Szenen auf höchster Nervositätsstufe, wo andauernd die Polizei an die Tür hämmert und der schmierige elektronische Sound von Oneohtrix Point Never eine Nacht befeuert, die auf eine Weise ausartet, die man nur crazy nennen kann. Vielleicht meinte Josh Safdie ja das, als er auf der Terrasse in Cannes sagte, Verbrechen sei eine «metaphysische Erfahrung».
«Good Time» ist wie alle Safdie-Filme eine Geschichte über die fatalen Nebenschäden von Befreiungsschlägen. Ein Thriller, der das Gesicht in dunkle Seitengassen drückt, zugleich aber von den Helikopteraufnahmen des Big-Budget-Krimis träumt. Gestrichen ist er in New Yorker Kolorit und gebaut aus Begegnungen, wie sie Josh und Ben Safdie vielleicht auch ein wenig anziehen.
Für den älteren Bruder Josh gehörte das «Abhängen mit Schleimbeuteln und Verbrechern» jedenfalls zur Recherche. Auch das Casting lief ungewöhnlich ab, man hat in Gemeinschaftszentren Zettel aufgehängt oder einfach eine Rolle mit der Grossmutter eines Crewmitglieds besetzt. Mit dem Resultat, dass da jetzt ein sehr eigenwilliges Biest durch die Nacht rast. Es ist das frische Kino der Brothers Safdie: hysterisierte Romantik, in der ein verzweifelter Sprung ins Nichts zur allerletzten Hoffnung wird.