Crossing
Levan Akın, Georgien, Schweden, Türkei, 2024o
Die pensionierte georgische Lehrerin Lia will herausfinden, was aus ihrer verschwundenen Nichte Tekla geworden ist. Der Teeanger Achi aus Teklas einstiger Nachbarschaft behauptet, dass sich Tekla als Transfrau ins liberalere Istanbul abgesetzt habe, und heftet sich gleich an Lias Fersen, als diese aufbricht. Gemeinsam durchstöbern die beiden die vor Leben strotzenden Quartiere der türkischen Metropole, in denen sich Transexuelle und andere Aussensieter verdingen. Dabei stossen sie auf die liebenswürdige Transanwältin Evrim, die sich als Aktivistin in der Queer-Szene engagiert.
Der aus Georgien stammende Schwede Levan Akin blickt mit 45 bereits auf dreissig Filme und Serienfolgen als Regisseur zurück und hat mit seinem letzten Kinofilm, And Then We Danced, ein packendes Drama über einen schwulen Tänzer im homophoben Umfeld von Tiflis vorgelegt. Mit Crossing wagt er sich noch einen Schritt weiter in ein filmisches Erzählen jenseits des Formelhaften vor und legt damit nochmals an atmosphärischer Dichte zu. Die Handlung dreht sich um eine pensionierte georgische Lehrerin, die von einem schlaumeirischen Teenager in ihrer Heimatstadt den Tipp bekommt, dass ihre verschollene Nichte als Transfrau im liberaleren Istanbul untergetaucht ist. Die Suche des ungleichen Gespanns in der queeren Strichszene der Metropole verläuft lang im Sand und führt schliesslich über eine aktivistische Transanwältin zu Bekannten der Vermissten. Doch Levan Akin geht es nicht um das Finden, sondern um die Erlebnisse der anfangs gestrengen Lehrerin in einer ihr fremden Welt, die zur Einsicht führt, dass nicht die Paradiesvögel, sondern die Scharfrichter:innen über anderer Leute Leben das Problem sind. Der Film stolpert dabei kurz bei der unvermuteten Verlagerung des Blicks von der Lehrerin auf die Transanwältin, gewinnt die Souveränität aber schnell zurück durch den liebevollen Blick auf die lebenspralle Queer- und Transszene – was nicht zuletzt mit der Präsenz gut geführter Laien und der brillanten Theaterschauspielerin Mzia Arabuli in der Hauptrolle zu tun hat. Das Ende zwischen Tag und Traum schliesslich ist eines jener Bravourstücke, die so nur das Kino bieten kann.
Andreas Furler